Juso Logo

Home

Unterzeichnen

Demo

Offener Brief gegen die transfeindliche Berichterstattung des Tages-Anzeigers

Transfeindlichkeit für KlicksDie Problematik der aktuellen BerichtserstattungForderungenOrganisationenLiteraturverzeichnis

Sehr geehrte Damen und Herren der Chefredaktion Frau Raphaela Birrer, Herr Adrian Zurbriggen, Herr Matthias Chapman, Frau Kerstin Hasse, liebe Leser*innen, liebe Unterstützer*innen
In diesem Brief äusseren wir Kritik an transfeindlicher Berichterstattung, legen unsere Gründe dar und kommunizieren unsere Forderungen.

Transfeindlichkeit für Klicks

Up

Vor etwa 50 Jahren wurde die "Anti-Gay"-Bewegung in den USA, vor allem durch christliche rechte Organisationen und Parteien, stark. Sie argumentierten scheinheilig für den angeblichen Schutz von Kindern vor Homosexuellen. Queere Menschen wurden nach und nach degradiert und immer weiter aus der Gesellschaft gedrängt.

Heute erleben wir etwas Ähnliches. Nachdem spätestens in den 2000er Jahren das Argument der gefährlichen Homosexuellen an Glaubwürdigkeit eingebüsst hatte, mussten die Rechten sich etwas Neues suchen. Seit geraumer Zeit versuchen rechte Kräfte, trans Menschen in ein schlechtes Licht zu rücken. Plötzlich wurde den besorgten Eltern erzählt, dass diese "Ideologien" schädlich für ihre Kinder seien. Mit dem "Don't say Gay" Gesetz in Florida wurde alles, was mit dem Thema Gender, Sexualität oder sonstigen aufklärenden Inhalten zu tun hat, aus den Schulen verbannt. Es geht dabei nicht um die Bedürfnisse von Kindern, sondern um die gewaltvolle Normierung von Körpern.

Das zeigt klar, dass trans und queere Menschen nur für Stimmen ausgenutzt werden. Politiker*innen verbreiten Unwahrheiten und Hass, um so leicht Macht zu erlangen. Wenn sich Medien nun bei dieser Maschinerie aus Diskriminierung und Hetze beteiligen, tragen sie massgeblich zur transfeindlichen Gewalt bei.

Auch in der Schweiz haben bereits Massnahmen Einzug erhalten, die beunruhigend sind. Ein Beispiel dafür ist der SVP-Politiker Andreas Glarner, der öffentlich Hass verbreitet und damit im Mai zur Absage einer Veranstaltung an einer Zürcher Sekundarschule führte, die Themen wie Geschlechtsidentität beleuchten sollte. Ebenso schürt die "Stop Woke" Kampagne der jungen SVP ein Feindbild gegen trans Menschen und die sogenannte "Gender-Ideologie". Unter anderem wird Drag ins Visier genommen, aber auch die angeblich "gefährlichen, irreversiblen Hormontherapien an Kindern, die in eine manipulative 'Phase' geführt werden". Diese Forderungen finden sich sogar im Parlament wieder, mit dem gleichen Wortlaut. Gleichzeitig bringen gewaltbereite, rechtsextreme Gruppierungen ihre Ansichten auf die Strasse, und die Medien tragen sie in die breite Öffentlichkeit. Die Angriffe häufen sich, und die Rechten finden immer wieder einen Weg, sie zu verharmlosen, oder mit dem “Schutz der Kinder” zu rechtfertigen. Es ist offensichtlich, dass die Gefahr auch in der Schweiz zunimmt.

Die Problematik der aktuellen Berichtserstattung

Up

Wir betrachten die aktuelle Berichterstattung über trans Menschen im Tages-Anzeiger und in der Schweizer Medienlandschaft mit tiefer Besorgnis. Insbesondere sehen wir die Darstellung von trans Themen im Tages-Anzeiger durch Artikel von Michèle Binswanger oder in Artikeln des SRF zum Thema Detransitioning als problematisch an. Diese Beiträge konzentrieren sich darauf, Sorgen in der Schweizer Bevölkerung zu schüren, und vergessen dabei die Rechte und Bedürfnisse der betroffenen Personen.

In den Berichten wird oft ein Framing verwendet, dass die Aufmerksamkeit auf Kosten, medizinische Prozesse und die Sorgen von Familien und cis Personen lenkt, während das Wohlergehen von trans Menschen in den Hintergrund gerät. Solche Narrative tragen nicht nur dazu bei, bestehende Vorurteile und Missverständnisse zu verstärken, sondern marginalisieren auch die Stimmen und Erfahrungen von trans Personen selbst.

Die Verbreitung dieser Narrative ist schädlich für trans Menschen und ihre Gemeinschaften. Sie schaffen eine Atmosphäre der Angst und der Entfremdung, statt Verständnis und Unterstützung zu fördern. Es ist besorgniserregend, wenn von Vorurteilen und Ablehnung gegenüber trans Menschen geprägte Perspektiven wie die von Frau Binswanger als objektive Berichterstattung präsentiert werden, da dies zu einer Verzerrung der öffentlichen Wahrnehmung führt.

Auch die wiederholte Fokussierung der Schweizer Medienlandschaft auf Themen wie Detransitioning, basierend auf fragwürdigen Studien und wissenschaftlich umstrittenen Methoden, verstärkt ein gefährliches Narrativ, dass Zweifel an der Legitimität und Notwendigkeit von Transidentitäten und -erfahrungen sät. Es ist wichtig zu betonen, dass trans Personen ihre medizinischen Behandlungen weit weniger bereuen als beispielsweise Patienten von Knieoperationen (Dhejne et al., 2014), (Lau et al., 2012), (Von Keudell et al., 2014), (Dunbar & Richardson, 2013). Forschung zeigt zudem, dass Unterstützung und Anerkennung für trans Personen von entscheidender Bedeutung für ihr Wohlergehen sind. (Veenhoven & Veenhoven, 2022; Chen et al., 2023)

Aus diesem Grund muss eine Berichterstattung gewährleistet werden, die die Menschlichkeit und Rechte von trans Personen in den Vordergrund stellt. Die Medien müssen ihre Verantwortung ernst nehmen und eine Berichterstattung anbieten, die die Vielfalt der trans Erfahrungen anerkennt und widerspiegelt. Journalismus hat die Macht, Perspektiven und den öffentlichen Diskurs zu formen und sollte seiner Verantwortung, eine inklusivere und gerechtere Gesellschaft zu unterstützen, gerecht werden, statt das Wohl von trans Menschen mit reisserischen Titeln und transfeindlichen Fragestellungen zu gefährden.

Forderungen

Up

In einer Zeit, in der trans Personen besonders auf Schutz angewiesen sind, ist es inakzeptabel, dass eben dieser Schutz durch Artikel wie die im Tages-Anzeiger untergraben und seine Notwendigkeit infrage gestellt wird. Wir sind dazu verpflichtet, insbesondere angesichts der oben genannten alarmierenden Entwicklungen, die bestehenden hart erkämpften Rechte zu verteidigen und sie weiter auszubauen. Daher fordern wir einen umfassenden Diskriminierungsschutz für trans Personen, der ihre Rechte in allen Lebensbereichen, einschliesslich Beschäftigung, Bildung, Gesundheitswesen und öffentlichem Leben, gewährleistet. Dieser Schutz sollte nicht nur vor "direkter Diskriminierung", sondern auch vor indirekter Diskriminierung und Belästigung aufgrund der Geschlechtsidentität oder des Geschlechtsausdrucks schützen. Darüber hinaus muss der Schutz auch die Anerkennung und Respektierung der selbstidentifizierten Geschlechtsidentität umfassen, ohne dass hierfür medizinische oder rechtliche Schritte erforderlich sind oder erwartet werden.

Eine angemessene Berichterstattung über trans Personen darf sich nicht auf internalisierte Stereotypisierungen stützen, sondern muss die Vielfalt ihrer Erfahrungen und Lebensrealitäten widerspiegeln. Der Tages-Anzeiger und die Schweizer Medien müssen sich davon distanzieren, öffentlich Stigmatisierung zu propagieren, und sollten sich stattdessen darauf konzentrieren, trans Personen als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft darzustellen. Die persönlichen Meinungen von Journalist*innen wie Frau Binswanger müssen entsprechend deklariert werden und dürfen die offizielle Berichterstattung des Tages-Anzeigers nicht länger mit gefährlichen Narrativen und transfeindlichem Framing prägen.

Es ist höchste Zeit, Widerstand gegen diese Form der Hetze zu leisten und unsere trans Mitmenschen zu schützen, indem wir als Gesellschaft aktiv gegen Diskriminierung vorgehen und ein Umfeld schaffen, das ihre Sicherheit und Würde respektiert.

Wir rufen den Tages-Anzeiger sowie alle Schweizer Medien dazu auf, unsere Forderungen ernsthaft zu berücksichtigen und ihre Berichterstattung entsprechend anzupassen.

Mit freundlichen Grüssen

Up

Jungsozialist*innen

Feministisches Kollektiv Winterthur

Feministisches Streik Kollektiv Zürich

Transgender Network Switzerland

Junge Grüne

Du bist Du

HAZ Queer Zürich

Alternative Liste

Hochschul Pride Zürich

Famille Arc-en-ciel

Feministischer Polito Treff

Feministisches Hochschulkollektiv Zürich

SP Queer

Queer Mittelland

kriPo Zürich

Khur Pride

Transtastic

Lesben Organisation Schweiz

Partei der Arbeit Zürich

Milchjugend

Bewegung für den Sozialismus

SP Frauen Kanton Zürich

Dachorganisation Frauenhäuser Schweiz und Liechtenstein

We Exist

Queer Zug

Feministisches Philosophie Kollektiv

Feministischer Streik Schaffhausen

Literaturverzeichnis:

Up

Chen, D., Berona, J., Chan, Y. M., Ehrensaft, D., Garofalo, R., Hidalgo, M. A., Rosenthal, S. M., Tishelman, A. C., & Olson-Kennedy, J. (2023). Psychosocial Functioning in Transgender Youth after 2 Years of Hormones. The New England journal of medicine, 388(3), 240-250. https://doi.org/10.1056/NEJMoa2206297

Dhejne, C., Öberg, K., Arver, S., & Landén, M. (2014). An analysis of all applications for sex reassignment surgery in Sweden, 1960-2010: prevalence, incidence, and regrets. Archives of sexual behavior, 43(8), 1535-1545. https://doi.org/10.1007/s10508-014-0300-8

Veenhoven, R., & Veenhoven, J. (2022). Happiness in transgender people. A research-synthesis using an on-line findings-archive. Ehero Working Paper 2022-01. https://www.eur.nl/en/ehero/media/2023-01-transgenderhappiness-ehero-wp2022j Lau, R. L., Gandhi, R., Mahomed, S., & Mahomed, N. (2012). Patient satisfaction after total knee and hip arthroplasty. Clinics in geriatric medicine, 28(3), 349-365. https://doi.org/10.1016/j.cger.2012.05.001 Von Keudell, A., Sodha, S., Collins, J., Minas, T., Fitz, W., & Gomoll, A. H. (2014). Patient satisfaction after primary total and unicompartmental knee arthroplasty: an age-dependent analysis. The Knee, 21(1), 180-184. https://doi.org/10.1016/j.knee.2013.08.004 Dunbar, M. J., Richardson, G., & Robertsson, O. (2013). I can't get no satisfaction after my total knee replacement. The Bone & Joint Journal, 95-B(11_Supple_A), 148-152. https://doi.org/10.1302/0301-620X.95B11.32767